Konrad Ewald Vorwort zum Buch «Musik für Bratsche» (4. Auflage)
Zu Neujahr 2012 erhielt ich einen lieben Brief eines süddeutschen Bratschisten, der mir schrieb, er habe sich zu Weihnachten mein Buch (Ausgabe 2001) geschenkt. Er habe zwar schon lange gewusst, dass da noch ein anderer ausser Zeyringer am Werk sei, dass doch aber «eh» schon alles im «Zeyringer» (Literatur für Viola) stehe.
Nun hat er zu seiner Überraschung feststellen müssen, dass das zwei ganz verschiedene Bücher sind. Zeyringer und ich waren keine Konkurrenten: Obwohl wir uns beide um die Violaliteratur kümmerten, waren unsere Ziele nicht die gleichen. In den 70er und 80er Jahren lieferte ich Zeyringer immer wieder Hinweise auf Neuerscheinungen und machte ihn auf Fehler aufmerksam. Wir haben uns anlässlich des Kongresses in Graz 1980 kennengelernt. Er betrachtete und bezeichnete mich als Kollegen, und ich bin deshalb auch in der Liste seiner Mitarbeiter aufgeführt.
Nochmals etwas anderes ist das wohl dokumentierte Buch «Viola Bibliographie» von Michael und Dorothea Jappe. Viele - vor allem jüngere - Leute dachten auch (und sagten es sogar): Was macht denn der Ewald noch? Es ist doch «eh» schon alles in Internet. Dazu möchte ich mich nicht äussern.
Das gedruckte Buch ist die vierte und wohl letzte Fassung meines Vademecums für Bratschenspielerinnen und Bratschenspieler: «Musik für Bratsche», diesmal mit dem Untertitel «Das reiche Viola-Repertoire von Aaltonen bis Zytowitsch». Noch immer gibt es Musikverlage und Musiker - sogar Bratschisten -, die nach wie vor von der «kargen» oder «kärglichen» Literatur für Viola daherreden. Mindestens seit einem Vierteljahrhundert - die letzte Ausgabe von Franz Zeyringers «Literatur für Viola» mit 446 Seiten erschien 1985 - könnte und müsste man wissen, dass es Abertausende Kompositionen für und mit Viola gibt. Aber eingefahrene Denkmuster und falsche Ansichten pflanzen sich fort, sind resistent und halten sich wider besseres Wissen.
Das ist nicht nur hier so (also auf einem Gebiet ohne irgendwelche politische Implikation), sondern leider auch in sämtlichen politisch relevanten Bereichen: Justiz, Soziologie, Sexualität, Psychologie, Erziehung... Und viele falsche Meinungen werden auch noch von Medien und Politikern gepflegt und gestützt, statt abgebaut, so dass von mündigen Menschen kaum die Rede sein kann. Die verheerendsten und eklatantesten Auswüchse solch eingefahrener Denkmuster und falscher Vorstellungen sind heute die verfehlte Drogenpolitik und die Terrorismushysterie. Auch das Gros der sogenannten Intellektuellen ist keinen Deut besser als der halb(an)alphabetische Rest der Gesellschaft. Mit 75 Jahren erlaube ich mir einmal ein überhebliches Statement.
Doch zurück zur Musik!
Um es gleich anfangs zu sagen: Ich bin nicht professioneller Musiker. Ich war Lehrer für Deutsch, Französisch und Latein, habe in französischer Sprachwissenschaft promoviert, und neben dem Musizieren und Unterrichten habe ich sehr viel gelesen und bin sehr viel gereist (Griechenland, afrikanische Länder, Südostasien). Mit 18 wechselte ich von der Geige zur Bratsche, um in Orchestern und vor allem um Kammermusik zu spielen. Schon in jungen Jahren konnte ich dank den wesentlich älteren und erfahrenen Geigern (zusammen mit meinem Bruder am Cello) wirklich die ganze bekannte und zugängliche Streichquartettliteratur kennenlernen, von Haydn und Mozart bis Reger und Lauber. Nebenher begann ich Viola-Kompositionen zu kaufen - und es wurden immer mehr. Musikalien zu erwerben, ist ein teures Hobby, und ich habe wohl ein (halbes) Vermögen in Noten investiert: Die meisten der in meinem Buch besprochenen Werke besitze ich.
Schon in der ersten Fassung meines Buches war es mein Ziel, interessierten Kreisen den Überblick über die Violaliteratur zu erleichtern. Mit den «interessierten Kreisen» meine ich durchaus nicht nur Dilettanten, obwohl ich vor allem sie im Auge hatte. Es gibt nämlich erstaunlich viele Berufsmusiker, die sich in der Literatur für ihr Instrument wenig auskennen und die vor lauter Orchester- und Unterrichtsverpflichtungen gar nicht spielen und kennenlernen können, was sie möchten (und sollten).
Leider muss ich immer wieder feststellen, dass auch Laien, die nicht von Routine, Trends und Standards abhängig sein müssten, oft nicht den Wagemut haben, in unbekannte Gefilde vorzurücken. Hans-Heinrich Schmieder sagt: «Man sollte gerade als Freund der Hausmusik immer wieder Neues ausprobieren, soweit es technisch nicht zu schwer ist, und auch vor den im öffentlichen Musikbetrieb heute unbekannten Namen nicht zurückschrecken, sich vor allem vom ersten oberflächlichen Eindruck nicht gleich negativ bestimmen und entmutigen lassen».
In diesem Zusammenhang muss ich auch den trefflichen Satz von Friedhelm Krummacher zitieren: «Wer sich allerdings weigert, andere als die geläufigen Werke zur Kenntnis zu nehmen, weiss auch nicht, was ihm entgeht».
Meine Bemerkungen zu den einzelnen Kompositionen sind bloss als Anregungen (oder Warnungen) gedacht. Man erwarte keine Werkanalysen. Erstens bin ich dazu fachlich nicht imstande; zweitens würde dadurch das Ganze zu umfangreich und wäre nicht mehr handlich. Meine Bemerkungen sind (subjektive) Anregungen und (objektive) Angaben über Eigenart und Schwierigkeit der Werke. Mehr wollen und können sie nicht sein. Ganz in meinem Sinn sind auch die Worte Hans-Heinrich Schmieders: «Die kurzen Charakterisierungen und Spielhinweise sind selbstverständlich nicht als erschöpfende Würdigungen gedacht ... Sollten gelegentlich auch Musikverlage, Rundfunkredaktionen und Konzertveranstalter daraus Honig saugen, würde es mich freuen... Ich bin mir des Unvollständigen, Ungenauen und Subjektiven dieser Hinweise sehr bewusst, aber es gehört nun einmal zum Schwierigsten, Musik in Sprache zu fassen und zu beschreiben... Hier kann es nur darum gehen, interessierten Musikanten gewisse Anstösse und Anregungen zu geben».
In dieser Fassung habe ich nicht mehr in einem Anhang die Komponisten (vor allem amerikanische) zusammengefasst, von denen ich keine Werke erhalten konnte. Viele sind für mich nun «verschwunden». Ich kann aber Komponisten wie Benedykt Konowalski und W. Th. McKinley und Komponistinnen wie Sally Beamish, Lucia Ronchetti und Katrina Wreede, die 15,20 oder mehr Werke für Viola geschrieben haben, nicht übergehen, nur weil ich (fast) nichts von ihnen kenne. Man kann mir meinetwegen vorwerfen, ich «drehe Locken auf einer Glatze» (was Karl Kraus von den Feuilletonisten gesagt hat).
Da wird immer wieder geschwärmt vom tiefen, schönen, herben, purpurnen, melancholischen, dunklen, geheimnisvollen, traurigen, gedämpften, klagenden... Ton der Bratsche, und dann kommen Komponisten und verfremden diesen Klang: Da wird gekratzt, gequietscht, gekreischt, gedrückt, geknirscht und geklopft - und der Bratschenton ist «im Eimer».
Und ich frage mich manchmal, wenn ich höre (oder in den Noten sehe), wie da eine Bratsche «malträtiert» wird (Gekreisch hinter dem Steg, fünffaches Forte, nicht nur «col legno Spiel», sondern sozusagen «col legno sul legno»-Klopfen u. a.), ob der Solist diese halsbrecherischen, bzw. «bratschenbrecherischen» Kunststücke tatsächlich auf seiner teuren Meisterbratsche spielt - und nicht vielleicht auf einem billigen Schülerinstrument.
Und auch die wahnsinnigen Höhen in den neuen Violawerken geben mir zu denken, nicht nur, weil ich sie selber nicht erreichen kann. Der Bratschenkenner Gordon Jacob sagte schon: «Hohe Lagen liegen auf der Violine wesentlich besser als auf der Bratsche.» Man sehe sich einmal die Werke (etwa die Streichtrios) eines weiteren Viola-Spezialisten an: Ich meine Alessandro Rolla. Gerade er führt die Bratsche nie in so grosse Höhen wie die Violine oder das Cello.
Es gibt den bösen Satz: Operation gelungen - Patient gestorben. Bei gewissen neuen Stücken drängt sich mir manchmal ein ähnlich böser Gedanke auf: Experiment gelungen - Musik gestorben. Ich möchte aber nicht so pessimistisch schliessen.
Für diese neue Fassung meines Buches habe ich mir im April 2010 die «List of compositions for viola» (Wikipedia) ausdrucken lassen. Das sind 400 Seiten (!). Hier entdeckte ich natürlich zahlreiche Werke und Komponisten, die ich noch nicht kannte; anderseits besitze ich Stücke, die in der Liste fehlen. Im grossen Ganzen ist sie zuverlässig. Ich bin dann mit mehreren Komponisten und Music Information Centres in Kontakt gekommen. Neben einigen Musikern, Verlagen und Auslieferungsstellen, die nicht reagiert haben, erlebte ich sehr viel Positives: Komponisten, die mir postwendend Werke schickten, z.T. sogar unentgeltlich, da sie erfreut waren, dass sich jemand für ihre Musik interessiert.
Auch einige Music Information Centres waren sehr hilfreich und zuvorkommend, schickten mir Listen, wenn sie keinen Katalog hatten (Norwegen, Finnland und Schweden führen Kammermusikkataloge, Finnland und Schweden sogar einen besonderen Katalog mit Violamusik).
Ein besonderer Dank geht an:
• Australian Music Center
• Centre for New Zealand Music
• Iceland Music Information Centre
• Ireland Contemporary Music Centre
• Ireland Music Publications
• Israeli Music Center
• Scottish Music Centre
• Union of Bulgarian Composers
Dr. Konrad Ewald, Spittelerstrasse 7, CH-4410 Liestal
Mail:
Photos: 2018, Niklaus Rüegg
ÜBER UNS
Angeregt durch die vierte Auflage des neuen Buches von Konrad Ewald Musik für Bratsche • Das reiche Viola-Repertoire von Aaltonen bis Zytowitsch, haben wir unser neues Projekt begonnen! Wir freuen uns sehr darüber, dass uns Konrad Ewald seine reichhaltigen Kommentare seiner über 8'600 Werkesammlung zur Viola-Literatur als Basis und Auftakt für diese neue Plattform zur Verfügung gestellt hat und mit uns auch weiterhin Werke sammeln, entdecken und kommentieren will.
www.music4viola.info ist die neue Plattform für die Bratsche, die sich zum Ziel setzt, interaktiv mit den Nutzern das spannende Repertoire für die Viola zu erkunden und zu verbreiten.
Ihre Meinung ist uns wichtig. Falls Sie Fragen haben, Anregungen, Lob oder Kritik, dann nehmen Sie doch einfach Kontakt mit uns auf.
Euer Music4Viola-Team
Unsere Partner
Die Vereinigung aller deutschsprachigen Bratschistinnen und Bratschisten
sowie aller Freundinnen und Freunde des sonoren Klang der Viola.
Amadeus Verlag: die klassische Note
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