Im Februar 2016 stieß ich auf folgender Internetseite auf eine Sonate für Viola und Cembalo (in C-Dur) von Beatrice Mattei, die etwa um 1740 entstanden sein soll und die von einer Institution namens Ars Femina herausgegeben wurde: https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_compositions_for_viola:_L_to_N. Da ich annahm, dass es sich um eine Originalkomposition handeln könnte, die im 18. Jht. bekanntermaßen selten vorkommen (insbesondere vor 1750), ging ich der Sache weiter nach.
Unsere Informationen über die Komponistin sind sehr spärlich, allerdings lässt sich in Erfahrung bringen, dass Mattei um die Mitte des 18. Jhts. in Florenz gewirkt haben soll und dass von ihr nur einige wenige Sonaten für Cembalo überliefert sind (sie hat wohl auch eine Oper komponiert, die aber nicht erhalten ist).
Bei den Recherchen kam ich schnell auf den Namen Carolyn Waters Broe, die sich für weibliche Komponisten im Viola-Repertoire engagiert (http://www.fourseasonsorchestra.org; https://www.youtube.com).
Ich nahm also Kontakt zu ihr auf und erfuhr, dass sie 2007 im Journal American String Teacher unter dem Titel «Viola Music by Women Composers» ein Essay veröffentlichte (S. 68-71), in dem sie auf die Sonate Bezug nahm. Dort heißt es: «An original manuscript of the Sonata for Viola and Harpsichord of Beatrice Mattei of Florence, Italy (1741) was discovered in an Eastern European library in 1996 by ARS FEMINA. After the Soviet Union was dissolved, the library needed to pack up many items and repatriate them to their original owners. Since the Manuscript for the Mattei [sonata] was owned by the Knights Templar, the library was about to ship it off when the research group ARS FEMINA of Kentucky asked if they could make a copy.» (Ebd., S. 68)
Nach diesen Angaben sollte sich die Originalhandschrift der Sonate also vor der Auflösung der Sowjetunion in einer osteuropäischen Bibliothek befunden haben. Bevor sie jedoch dem rechtmäßigen Eigentümer, dem Templerorden, zurückgegeben wurde, hatte die Institution Ars Femina offenbar Gelegenheit eine Kopie anzufertigen, die die Grundlage der Edition bildete. Woher diese Informationen stammten, ging aus dem Artikel aber nicht hervor.
Über WorldCat ließ sich feststellen, dass nur einige amerikanische Bibliotheken sowie jeweils eine Bibliothek in England und eine in Australien über ein Druckexemplar der Edition verfügten: http://www.worldcat.org (hier fiel mir bereits auf, dass die Sonate nach Angaben von Broe zwar 1996 entdeckt, drei Jahre zuvor aber von Ars Femina veröffentlicht worden sein soll, was mich skeptisch machte).
Ich hoffte, durch die Edition Näheres zum Verbleib der Quelle herausfinden zu können. Tatsächlich gelang es mir durch einige Beziehungen, einen Scan der längst vergriffenen Ausgabe zu bekommen. Leider enthielt die Ausgabe kein Vorwort, das weitere Anhaltspunkte hätte liefern können. Nach langwierigen Email-Korrespondenzen auf der Suche nach dem Herausgeber, der Institution Ars Femina (es existierte ein Ars-Femina-Ensemble in Louisville, Kentucky, das mit dem Herausgeber identisch zu sein schien), hatte ich etwa zwei Monate später Erfolg.
Der Herausgeber, ein gewisser William Bauer (der in der Edition nicht namentlich genannt wird), bestätigte, dass es sich um eine Originalkomposition für Bratsche handelte («per viola con cembalo senza basso or something very close to that»). Er teilte mir auch mit, dass er diese Sonate 1993, etwa sechs Monate nach der Auflösung der Tschechoslowakei, im Clementinum in Prag aufgespürt hätte und dass die Quelle in einer Sonaten-Sammelhandschrift enthalten gewesen sei. Nach einer weiteren Korrespondenz mit der Nationalbibliothek der Tschechischen Republik (Národní knihovna České republiky) – die heute im Clementinum untergebracht ist – ließ sich die Quelle schließlich im Nationalmuseum – Museum für Tschechische Musik (Národní muzeum – České muzeum hudby) ermitteln (Signatur: XLI-D-163).
Am Ende stellte sich jedenfalls heraus, dass es sich bei der Quelle laut Originaltitel um eine generalbassbegleitete Violin-Solo-Sonate oder eine Sonate für obligates Cembalo in B-Dur handelt («Sonata Per Violino Solo e Cembalo», darüber «per Piano»; die dann für die Edition entsprechend transponiert wurde) und nicht, wie immer wieder behauptet, um eine Originalkomposition für Viola und obligates Cembalo. Dass sich die Quelle in neuerer Zeit offensichtlich nie in Privatbesitz befunden hat, konnte danach auch nicht mehr bezweifelt werden. Damit wäre der Nachweis erbracht, dass die Edition wirklich als moderne Bearbeitung einzustufen ist.
Dass ich am Ende tatsächlich die Quelle finden würde, hätte ich, bei den vielen falschen Fährten, auf die ich geriet, nie für möglich gehalten.